Jazzartikel

Erwin Lehn – Der deutsche Gentleman des Swing

Prof. Dr. Klaus Huckert | Jazz in Deutschland

Erwin Lehn wurde am 8. Juni 1919 in Grünstadt/Rheinland-Pfalz in eine musikalische Familie hinein geboren. Vater und Mutter arbeiteten in Stummfilm-Kinos als musikalische Begleiter. Im Alter von fünf Jahren erhielt er bereits Unterricht in Klavier, Klarinette und Violine. Seine Ausbildung wurde 1934 – 1937 an der städtischen Musikschule Peine in der Nähe von Hannover vervollständigt. Im November 1937 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Beim Wachregiment in Berlin war er Klarinettist, wechselte dann zur Truppenbetreuung nach Frankreich, dem Balkan, Polen und Russland. Die Swingmusik, die in Berlin trotz Problemen mit dem Nazi-Regime gespielt wurde, hatte es dem jungen Musiker angetan. 1944 kehrte er von Russland nach Berlin zurück.

Erste Erfahrungen im Rundfunk

In den Nachkriegsjahren von 1945 bis 1948 war er als Pianist beim Radio Berlin Tanzorchester (RBT-Orchester) als Pianist und Arrangeur tätig. Michael Jary, der berühmte Filmkomponist („Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ oder „Ich weiß es wird einmal ein Wunder geschehen“), engagierte ihn höchstpersönlich. 1948 übernahm Erwin Lehn die Leitung des RBT-Orchesters. In den folgenden kam es immer öfters zu Gängelungen durch die sowjetische Besatzungsmacht, die die Oberhoheit im RBT-Bereich hatte. Erwin Lehn sagte in einem Interview dazu: „Ich wurde immer öfters aufgefordert doch solche Titel wie „Kleine Volks-Polizistin“ zu spielen oder auf synkopierte Musik (amerikanische Musik) zu verzichten“. 1950 verboten die Sowjets jeglichen „Amerikanismus“ im Orchester und für den Pfälzer Erwin Lehn war das Berliner Kapitel abgeschlossen. Mit Arrangement-Aufträgen für verschiedene Orchester und Rundfunk-Stationen hielt er sich über Wasser.

Erwin Lehn und sein Südfunk-Tanzorchester

Das Glück des Tüchtigen war 1951 Erwin Lehn hold, als er vom SDR in Stuttgart gefragt wurde, ob er sich die Leitung eines Tanzorchesters am Sender zutraue. „Gepflegte Tanzmusik mit einem neueren Klangkörper“ erwartete der Süddeutsche Rundfunk von ihm. Weltklasse-Musiker wie Horst Fischer (Trompete), Werner Baumgart (Tenor-Saxophon), Ernst Mosch (Posaune) später auch Horst Jankowski (Piano) bildeten zusammen mit Musikern des RBT-Orchesters aus Berlin die Basis des neuen Orchesters. Erwin Lehn später wörtlich: „Wenn man für gute Tanzmusik sorgen will, muss man Jazzmusiker in der Band haben, denn die bringen jenes Swing-Gefühl mit, das dazu die Voraussetzung bildet.“

Die Produktionsschwerpunkte vom Orchester Erwin Lehn beim SDR waren Tanzmusik mit Chor und Streichern, Unterhaltungskonzerte mit Gesangssolisten, verschiedene Musikparaden und SDR-Tanzpartys, und natürlich Jazz-Konzerte mit nationalen und internationalen Stars. Weltstars wie Miles Davis, Chet Baker, Chick Corea, Buddy de Franco, Astrud Gilberto, Arturo Sandoval, Dexter Gordon, Stephane Grappelli, Woody Herman usw. konzertierten mit dem Orchester. In seinen Memoiren erinnert sich Erwin Lehn besonders an den brasilianischen Gitarristen Luiz Bonfa (Filmmusik zu Orfeo negro (u.a. „Manhã de Carnaval“)), der ihn mit seiner Bossa Nova-Musik faszinierte).

Dem Südfunk Tanzorchester wurde 1991 ein Sparbeschluss auferlegt. Nach 40 Jahren Jazz- und Unterhaltungsmusik, etwa 9.000 Titelproduktionen und der Musik zu 50 Spielfilmen gab Erwin Lehn Ende 1991 auf. Erwin Lehn widmete sich daraufhin seinem „zweiten Beruf“. 1976 hatte Lehn die Leitung der Big Band an der Stuttgarter Musikhochschule übernommen, an der er 1985 auch zum Honorarprofessor ernannt wurde. Er erwarb sich dadurch große Verdienste in der Förderung des Musiker-Nachwuchses. Erwin Lehn verstarb am 20. März 2010 in Stuttgart.

Artikel-Info
Datum: 8. Juni 2019
Xing-Gruppe: Jazz
Forum: Der virtuelle Stammtisch
Autor: Prof. Dr. Klaus Huckert, Autor, Publizist, Jazz-Musiker | www.jazzimfilm.de, www.hothouse-jazz.de

Zurück zur Übersicht
Erwin Lehn in Stuttgart-Untertürkheim, Januar 2005, Foto: Enslin
Erwin Lehn in Stuttgart-Untertürkheim, Januar 2005, Foto: Enslin [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]